Die Weisheit der Schlange

Herausgegeben von Erik Hornung und Andreas Schweizer

Der Band vereint die Beiträge der Eranos Tagungen in der Casa Serodine, Ascona, von 2003 (Die Weisheit der Schlange) und 2004 (Licht-Brechungen).

Gudrun Schubert
Dämon oder Haustier, ungläubig oder heilig. Zur Vielgestaltigkeit der Schlange im Islam
Seit ihrem unrühmlichen Auftritt in der Geschichte von Adam und Eva hat die Schlange im Islam einen schlechten Ruf, war sie es doch, die dem Teufel geholfen hat, unbemerkt am Paradieswächter vorbeizukommen. In der Folge wird sie gerne mit Iblīs gleichgesetzt und verkörpert wie dieser das Böse. Dem entspricht der Volksglaube, wonach in jeder Schlange ein Dämon oder Satan lebt. Entsprechend wird sie im Sufismus zum Sinnbild für die Triebseele (nafs), die sich dem Sufi auf seinem Weg zu Gott hindernd in den Weg stellt.

Roger Alfred Stamm
Schlangen und Mensch: Begegnungen
Als Zoologe führt uns der Autor in die Jahrmillionen alte Entwicklungsgeschichte der Schlange ein, die zusammen mit den Schildkröten, Krokodilen und Eidechsen den tief greifenden Klimawechsel und offenbar auch die kosmischen Katastrophen der Kreidezeit (144-65 Millionen Jahre) überlebt haben. Als Vertreter der basalen Anthropologie fragt er nach dem spezifisch Humanen der menschlichen Daseinsart bzw. dem mit den Schlangen Gemeinsamen als Basis aller Schlangenmythologie.

Eric Hornung
‚Söhne der Erde’ – Schlangen im Diesseits und Jenseits der Ägypter

Im alten Ägypten begleiten die überall gegenwärtigen Schlangen den Weg des Sonnengottes durch die Unterwelt und beschützen ihn vor seinen Feinden. Die Apophis-Schlange, Erzfeind der Sonne und der gesamten Schöpfung, die letztlich nie vernichtet werden kann, wird in den Regenerationsprozess miteinbezogen. Sie bedroht zwar die geordnete Schöpfung, ist aber auch notwendig für deren stetige Erneuerung.

Gotthilf Isler
Die Schlange als Geist der Erde. Von der Vereinigung der Gegensätze in der Natur

Die Schlange wird hier als Symbol für die Tierseele im Menschen verstanden, für die unpersönliche Grundlage im Unbewussten und deren naturhafte Richtigkeit. Anhand von zahlreich beigezogenen Volkssagen wird ihre Bedeutung als archetypisches Bild für die Weisheit des menschlichen Instinktes aufgezeigt. Dabei wird deutlich, wie schwer es dem heutigen Menschen fällt, sich auf den Geist der Erde zu beziehen. Je nach dem braucht es Mut, sich ihm zu stellen, oder Demut, ihm bescheiden zu folgen.

Andreas Schweizer
Schlangenträume

Die Schlange kommt in vielen Träumen heutiger Menschen vor. Der Autor geht in seinem Beitrag der tiefenpsychologischen Bedeutung von drei Schlangenträumen nach. Wo immer die Schlange im Traum auftaucht, kündigt sie einen numinosen Inhalt an, der in faszinierender wie erschreckender Weise in unser Leben einbrechen kann. Wenn wir eine entsprechende Auffassung dafür finden können, kann ein seelischer Heilungsprozess in Gang kommen.

Hans Gottfried von Stockhausen
Licht und Sinnraum

Als Glaskünstler macht uns der Autor mit der Lichtsprache des Kirchenraumes vertraut, mit der Lichtmetaphorik eines Dionysios Areopagita, die angesichts des Fortschrittsdenkens der Moderne mehr und mehr verblasst. Dadurch verliert der sakrale Raum der mittelalterlichen Kathedrale seinen geheimnisvollen Lichtsinn. Es stellt sich die Frage, wie es mit dem Licht und Sinnraum in einer säkularen Welt weitergehen könnte. Es macht den Anschein, dass dieser heute immer mehr in der Nähe des Menschlichen oder gar im Menschen liegt.

Jan Assmann
Lux divina. Zur Theologie des Lichts im alten Ägypten

Jan Assmann zeigt uns die unerschöpflichen Ausdeutungen des Lichts im alten Ägypten. Der Schöpfungsakt ist hier nicht ein einmaliges Geschehen, vielmehr wiederholt er sich mit jedem Sonnenaufgang neu, und immer ist es das Phänomen des Lichts, das die Welt ins Leben ruft. Doch auch der Schreckensglanz des Sonnengottes wird gesehen, denn dieser dient ebenso der Erhaltung der sich stets aus dem Chaos regenerierenden Welt. Darin spiegelt sich die Ausgewogenheit des ägyptischen Denkens, das die Gegensätze integriert.

Ruedi Högger
Das Tor des Lichts – Wie sich Bergbauern und Schamanen, Priester und Gelehrte mit dem Jenseits verbinden

Die einfache Walliser Bauernstube, die kirgisische Jurte, das bhutanische Bauernhaus, die südindische Hütte und der nordindische Tempelturm weisen vergleichbare bauliche Elemente auf. Das analoge Grundmuster von Kuppel, Lichttor, Zinne und Zentralachse zeugt von einem zutiefst inneren Wissen des Menschen, wonach seine diesseitige konkrete Alltagswelt auf eine unbegrenzt mächtige Anderswelt bezogen sein muss, wenn er sich als beseeltes Wesen in dieser Welt zurechtfinden soll.